Dr. Elisabeth Mackscheidt
Ergebnisoffen
und
zielorientiert
Überlegungen
zur Pflichtberatung
Von Elisabeth Mackscheidt
Daß das Ergebnis eines kommunikativen Prozesses zwischen zwei
Menschen nicht im
voraus auszumachen ist, könnte man als Faktum für so
selbstverständlich halten,
daß es kaum der Erwähnung bedarf. Was der Zweite Senat
des Bundesverfassungsgerichts
in seinen Ausführungen zum Inhalt der
Schwangerschaftskonfliktberatung mit dem
Wort "ergebnisoffen" (D. IV. 1.) bezeichnet, bezieht sich aber
nicht nur
auf das Ende des Beratungsprozesses, sondern zielt auf den
Prozeß selbst. Die
Ergebnisoffenheit darf und soll den Charakter des
Beratungsprozesses selbst
bestimmen. Damit weist der Senat auf ein
unverzichtbares Moment
von Beratung überhaupt hin; denn es gehört zum
Selbstverständnis von
Beratung, daß sie die personale Freiheit der Ratsuchenden
respektiert, selber
Verantwortung zu übernehmen - eigene Entscheidungen
fällen zu können und zu
müssen. Hiermit ist nicht nur die Grundeinstellung gemeint, die
überhaupt erst
den Boden für ein mögliches "Arbeitsbündnis"
zwischen der Beraterin (Anm. 1) und
der schwangeren Frau abgibt; es handelt sich vielmehr um eine
Leitlinie, die in
jedem Augenblick des Beratungsprozesses diesen steuert. Eine Beratung,
die
diesen Namen verdient, wird die schwangere Frau immer als Subjekt des
Beratungsprozesses ansehen und sie nicht "zum bloßen
Objekt eines
Schutzkonzepts" herabwürdigen, um eine Formulierung aufzugreifen,
die der
Senat in einem anderen Zusammenhang gebraucht (D. III. 4.).
Beratung hat mit
Begleitung zu tun, mit Hilfe zur Selbsthilfe, mit Förderung jenes
Freiheitsraumes, der ein Höchstmaß an persönlich
verantworteter Entscheidung
möglich macht. Sie ist etwas anderes als Belehrung, und am
weitesten entfernt
ist sie von jeglichem Moment der Kontrolle.
So kann die Mitwirkung an einem
Beratungsgespräch in
der Tat nie erzwungen werden. Obwohl jeder weiß, daß ein
Schwangerschaftskonflikt
eine höchst individuelle Realität ist, so daß schon
eine angemessene
Information, geschweige denn eine Konfliktberatung im engeren Sinne
schwerlich
möglich ist, ohne daß die schwangere Frau darlegt, was sie
veranlaßt, den
Abbruch der Schwangerschaft zu erwägen, kann die Aufforderung zu
dieser
Darlegung letztlich nur Appellcharakter haben. Die schwangere Frau
wird als
verantwortlich Handelnde angesprochen; ihre Mitwirkung wird deshalb
erwartet -
und wird deshalb nicht erzwungen (D. IV. 1. und
1.b)).
Hier ergibt sich eine der schwierigsten
Fragen, die
Beraterinnen in diesen Wochen stellen: Was tun, wenn die
schwangere Frau
schweigt? Oder noch drängender formuliert: Darf die Beraterin
bescheinigen, daß
eine Beratung stattgefunden hat, wenn die schwangere Frau geschwiegen
hat? Mit
"Schweigen" meine ich hier nicht unbedingt ein regelrechtes
Verstummen,
wohl aber ein Schweigen über die Gründe, die die schwangere
Frau bewegen, den
Abbruch der Schwangerschaft als einzigen Ausweg zu sehen. Wenn ich mich
im
folgenden ausführlicher auf diese Frage einlasse, so keineswegs,
weil die
Erfahrung etwa lehrte, daß bei der Pflichtberatung häufig
gar kein Gespräch
zustande kommt, weil schwangere Frauen das Gesprächsangebot - aus
welchen
Gründen auch immer - nicht annehmen. Angesichts einer ungewollten
Schwangerschaft in einem geschützten Raum mit einer Frau sprechen
zu können,
bei der man fest darauf vertrauen kann, daß sie einem
Respekt und Verständnis
entgegenbringen wird, ist ein eminent humaner Vorgang, der schnell
eine
Selbstverständlichkeit menschlicher Begegnung gewinnen kann, die
den
obligatorischen Rahmen in den Hintergrund treten läßt. Wie
anders könnten
Beraterinnen diesen Beruf über viele Jahre ausüben und darin
eine befriedigende
und sinnvolle Tätigkeit sehen. An der Frage des Schweigens
möchte ich vielmehr
den Grenzfall durchspielen, für den eine Antwort gesucht werden
muß, wenn die
Freiheitlichkeit des Beratungsprozesses mit voller Ernsthaftigkeit
gewahrt
bleiben soll.
Bei dem Versuch, diese Frage zu
beantworten, sollte
man sich allerdings zunächst vor Augen halten, daß zumindest
Phasen des
Schweigens in Beratungssituationen - insbesondere, wenn es sich um
Beratung
angesichts eines inneren Konfliktes handelt - nichts Ungewöhnliches sind. Ein
respektvoller und
sensibler Umgang mit dem Schweigen gehört zu den wesentlichen
Merkmalen
beraterischer Kompetenz. Es gibt viele Formen des Schweigens - auch
eines
"beredten Schweigens" -, und es gibt viele Formen der verbalen
und
nonverbalen Antwort auf ein Schweigen.
Es gibt das Schweigen aus der Not, nicht
sprechen zu
können - vielleicht weil man in seinem Leben zu wenig
vertrauenspendende
Erfahrungen gemacht hat, um jetzt Vertrauen in die Beraterin zu
setzen;
vielleicht weil man das Thema als zu schuld- und schambesetzt erlebt,
um
darüber zu sprechen; vielleicht weil einen zu viele Gedanken und
Gefühle
gleichzeitig bedrängen, um sie in diesem Augenblick in Worte
zu fassen;
vielleicht weil man fürchtet, die Kontrolle über sich selbst
zu verlieren, wenn
man einmal anfinge zu reden. All dies ist - insbesondere aus
therapeutischen
Gesprächssituationen - bekannt und kann auch den Verlauf einer
Schwangerschaftskonfliktberatung bestimmen. Nun ist
Schwangerschaft kein
therapiebedürftiger Zustand; und doch kann eine ungewollte
Schwangerschaft so
viele tragende Momente der eigenen Identität gleichzeitig ins
Wanken bringen, daß
es nicht als Pathologisierung angesehen werden muß, wenn man
davon ausgeht, daß
ein Schwangerschaftskonflikt eine tiefe Identitätskrise
auslösen kann. Aber
auch angesichts der Möglichkeit einer solchen Krise und trotz
aller Tendenz zu
regressivem Erleben in der Schwangerschaft wird dieses Nicht-reden-Können
die Ausnahme bleiben. Dennoch: Es muß als möglicher Fall
geschützt bleiben;
denn wenn es auch gerade in dieser Situation der schwangeren Frau
selbst eine
große Entlastung bringen könnte, sollte der Beraterin es
gelingen, eine Brücke
zum Reden abzugeben, so wird dieses Angebot - und vielleicht auch das
eines
Gesprächs mit einer psychologischen Fachkraft - nicht immer
ergriffen werden,
so daß die Möglichkeiten einer Konfliktberatung, die ja
immer unter einer
zeitlichen Begrenzung steht, sehr eingeschränkt sein
können.
Eher schon wird eine Beraterin konfrontiert
mit dem
Schweigen des Nicht-reden-Wollens; und auch dem gilt es
respektvoll zu
begegnen. Beratung kann nicht gelingen, wenn sie nicht von einem
Vertrauensvorschuß
getragen ist, d.h., die Achtung vor der Würde der schwangeren Frau
und das
Wissen um die, wie ich meine, einzige Chance, die Beratung in einer
solchen
Situation für den Lebensschutz hat, erfordern es, daß
die Beraterin davon
ausgeht, daß diese Frau ihre Gründe dafür hat, nicht
reden zu wollen. So kann
es sein, daß die schwangere Frau den Eindruck hat, bei einem
Offenlegen des
Konfliktes die Loyalität zu Menschen, die ihr nahestehen, nicht
wahren zu
können, da sie sich dann möglicherweise doch noch zur
Revision ihrer bisherigen
Entscheidung veranlaßt sehen könnte. Ein
Schwangerschaftskonflikt kommt ja oft
gerade erst dadurch zustande, daß die Frau einerseits eine
Loyalität zu dem in
ihr wachsenden Kind einzugehen beginnt, andererseits aber mit der
Entscheidung
für dieses Kind Loyalitäten, die sie schon eingegangen ist,
zu verletzen
fürchtet: die Loyalität zu ihrem Partner, von dem sie
vielleicht annimmt, daß
väterliche Verantwortung zu übernehmen, ihn überfordert;
die Loyalität zu ihren
Eltern, denen sie ersparen möchte, daß ihre Tochter unter
den gegebenen
Umständen ein Kind bekommt; die Loyalität zu ihren schon
geborenen Kindern, die
möglicherweise ihre ganze Kraft beanspruchen. Häufig wird die
Loyalität dem
ungeborenen Kind selbst gegenüber schon als konflikthaft erlebt,
wenn nämlich
die schwangere Frau zutiefst überzeugt ist, ihrem Kind keine guten
Lebensbedingungen schaffen zu können, ja vielleicht auch, ihm
keine gute
Mutter sein zu können. All diese bewußten und
unbewußten Loyalitätsbindungen
können eine schwangere Frau zu der Einschätzung bringen, es
sei besser, sich
jetzt nicht einer Beratung zu öffnen, sondern den eigenen
Entschluß, die
Menschen, die sie liebt, zu schonen, nun auch bis zum bitteren Ende
alleine
durchzutragen. Immerhin birgt in diesen Fällen der
obligatorische Charakter
der Beratung eine gute Chance für den Schutz von Mutter und
Kind - bei einem
freien Angebot wäre diese Frau ja im Zweifelsfall gar nicht in
eine
Beratungsstelle gegangen -; denn vielleicht gelingt es der Beraterin,
gerade
indem sie gute Gründe für die Zurückhaltung der
schwangeren Frau voraussetzt
und zuschreibt, einen Raum anzubieten, in dem nun doch etwas von dem
Loyalitätskonflikt
sichtbar wird, so daß die schwangere Frau die Erfahrung machen
kann, daß die
Beraterin ihren Wunsch, sich schützend vor andere Menschen zu
stellen, versteht
und hochachtet; daß sie gewissermaßen das Ja zum Leben, das
hinter dem Nein verborgen
ist, ernst nimmt. Vielleicht kann der schwangeren Frau aus dieser
Erfahrung, in
ihrer spezifischen Fähigkeit der Sorge für andere gesehen und
angenommen zu
sein, die Kraft erwachsen, auch dem ungeborenen Leben in ihr
Schutz zu geben.
Auch kann gerade in solchen Situationen das Gespräch mit
Angehörigen, wenn es
denn dazu kommen sollte, eine große Hilfe sein, weil oft erst
dabei der
Loyalitätskonflikt gemeinsam verstanden und überwunden wird.
Und natürlich gibt
es auch immer wieder - wenn auch leider in zu geringem Maße -
praktische
Hilfen, die den Konflikt abschwächen können; daß die
Ratsuchenden "so effektiv
wie möglich" (D. IV. l.c)) bei der Inanspruchnahme staatlicher
Leistungen
und anderer Hilfen unterstützt werden sollen, gehört
sicherlich zu den
wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Es kann aber
auch sein,
daß die schwangere Frau ihre Zurückhaltung
aufrechterhält und trotz
qualifizierten Bemühens der Beraterin ihren einsamen Weg zu Ende
geht.
Eine Loyalitätsverletzung mag eine
schwangere Frau
auch dann bei einer Darlegung ihrer Gründe fürchten, wenn die
Offenlegung ihres
Konfliktes deutlich machen würde, daß andere sie zur
Abtreibung drängen. Oft
sind es ja gerade Menschen, die der schwangeren Frau besonders nahe
stehen -
wie der Partner oder die eigenen Eltern -, so daß der Gedanke,
diese durch ihre
Äußerungen in ein schlechtes Licht zu stellen, trotz aller
Enttäuschung höchst
ambivalente Gefühle auslösen kann. Die Ächtung der
Nötigung zum
Schwangerschaftsabbruch, die im Prinzip sicherlich auf einen
gesellschaftlichen
Konsens rechnen kann, deren strafrechtliche Ausformung allerdings ein
sehr
schwieriges Thema ist, wird durch die Aufforderung des
Bundesverfassungsgerichts,
das Strafrecht in dieser Hinsicht auszubauen (D. VI. 2.b)), ja
vermutlich noch
deutlicher werden.
So wird man auch nicht ausschließen
können, daß eine
Frau aus Angst, Dritte zu belasten, oder aus Angst vor weiteren
Repressalien
schweigt. Der Vertrauensschutz der Beratung macht es erforderlich,
daß nicht
nur den Beraterinnen, sondern auch der Bevölkerung klar ist,
daß eine
Beraterin, die von einer solchen Nötigung erfährt, nur
den Auftrag hat, die
Frau über den rechtlichen Schutz, den der Staat ihr und ihrem Kind
gewährt,
aufzuklären und sie in Ausnahmefällen vielleicht auch zu
rechtlichen Schritten
zu ermutigen. Es muß klar sein, daß die Beraterin keine
eigenen rechtlichen
Schritte tun muß, ja, daß sie dazu nicht befugt ist. Wenn
nicht jeder in
unserem Staat die völlige Sicherheit haben kann, daß die
schwierigen Themen des
inneren und äußeren Drucks - wie alle Inhalte des
Gesprächs mit der schwangeren
Frau oder auch mit hinzugezogenen Personen - strengster Schweigepflicht
unterworfen sind, ist die Mindestanforderung an Beratung nicht
erfüllt und das
Schutzkonzept über eine Beratungsregelung in seinem Kern
korrumpiert. Nicht umsonst
wird der schwangeren Frau ja sogar eine anonyme Beratung
eingeräumt (D. IV.
1.).
Es wäre aber eine Verkennung der
Realität, würde man
die Motive dafür, nicht über die Gründe für den
beabsichtigten Schwangerschaftsabbruch
reden zu wollen, nur in einem inneren oder äußeren
Druck suchen, der in
Zusammenhang mit dem Schwangerschaftskonflikt selbst steht. Zum einen
wird man
damit rechnen müssen, daß der obligatorische Charakter
der Beratung u.U. als
eine Barriere für ein offenes Beratungsgespräch erlebt wird,
die in
Ausnahmefällen auch unüberwindlich sein kann. Dies sollten
auch diejenigen
zugeben, die sich schon im Vorfeld der Gesetzgebung für die
Beibehaltung bzw.
Einführung der Pflichtberatung ausgesprochen haben; für den
obligatorischen
Charakter der Beratung sprechen ja nicht nur ethisch-rechtliche
Überlegungen,
sondern vor allem auch die großen Chancen für den Schutz von
Kind und Mutter,
die eine Pflichtberatung mit sich bringt - nicht zuletzt im Blick
auf die in
unserer Gesellschaft benachteiligten Familien.
Zum anderen ist die Pflichtberatung nicht
der einzige
Weg, auf dem eine schwangere Frau versuchen kann, die Not- und
Konfliktlage,
die sie den Abbruch ihrer Schwangerschaft erwägen
läßt, zu überwinden.
Vielleicht hat die schwangere Frau längst eigene und fremde
Ressourcen
mobilisiert und sieht subjektiv für sich dennoch keine
Möglichkeit, die
Verantwortung für die Geburt dieses Kindes zu übernehmen.
Vielleicht hat sie
ausreichende Kenntnisse über die zur Verfügung stehenden
äußeren Hilfen und
hat sich sogar von einem vertrauenswürdigen, kompetenten Menschen
beraten
lassen. So kann es sein, daß sie in diesem Augenblick dem
Beratungsangebot
keinen Sinn zu entnehmen vermag und vielleicht nur noch den Eindruck
hat, zu
etwas für sie persönlich nicht Stimmigem gezwungen zu werden. Niemand wird der Beraterin ein
fertiges Rezept
an die Hand geben können, aus dem hervorginge, wie sie in dieser
Situation -
und dies gilt letztlich für alle Beratungssituationen - am besten
dem
Lebensschutz dient. Beratung ist ein je individueller Vorgang,
eine
höchstpersönliche Begegnung, die ihr Profil von den
Möglichkeiten und Grenzen
dieser beiden Frauen gewinnt, aus ihrer je unterschiedlichen Rolle
heraus genau
zu diesem Zeitpunkt in eine gute Kommunikation miteinander zu
treten.
Wahrscheinlich wird es möglich sein, die Einschätzung, die
die schwangere Frau
von der Beratungssituation hat, ins Wort zu bringen und zum
Ausgangspunkt eines
Gesprächs zu machen. Daß dieses Gespräch von dem
Vertrauensvorschuß getragen
ist, den die Beraterin der Frau entgegenbringt, indem sie die
Ernsthaftigkeit,
mit der die schwangere Frau ihre Not- und Konfliktlage zu
überwinden versucht
hat, nicht in Frage stellt, erscheint mir der Weg, der am ehesten dem
existentiellen Problem, ob diese Frau ihrem Kind das Leben erhalten
wird,
angemessen ist. Ich persönlich sehe darin keinen Widerspruch zu
der Aufforderung
des Bundesverfassungsgerichts, daß "die Beratung darauf
hinwirken soll, daß die
Frau ihre Abbruchgründe mitteilt" (D. IV. 1 .b)); denn
wie
anders könnte eine Frau in der beschriebenen Situation
überhaupt motiviert
werden, noch einmal über ihre Gründe zu sprechen, wenn nicht
durch die
Erfahrung, in Kontakt mit einer Beraterin gekommen zu sein, die
die
Ernsthaftigkeit ihres lebensschützenden Bemühens
respektiert und in
Bescheidenheit das Angebot macht, sich selbst in den Dienst dieses
Bemühens zu
stellen. Würde die Beraterin als Autoritätsperson
auftreten, die davon
ausgeht, besser als die schwangere Frau selbst zu wissen, was diese zur
Überwindung ihrer Not- und Konfliktlage braucht, so wäre der
Beratungsprozeß
entgleist. Beraterinnen sind nicht Fachleute für den
Lebensweg anderer Menschen,
sondern sie haben gelernt, die Kompetenzen, die die Ratsuchenden selber
mitbringen, noch zu vergrößern und deren
Verantwortungsbewußtsein noch zu
stärken.
Daß wir Menschen in
außergewöhnlichen Konfliktlagen -
und der Schwangerschaftskonflikt ist eine solche - oft auch
auf
Information, Rat und Hilfe von außen angewiesen sind, macht
Beratung zu einem
adäquaten Mittel des Lebensschutzes. Doch im Blick auf die
letztgenannte
Beratungssituation gilt es, sorgsam auf den Duktus des Urteils und
seiner
Begründung zu achten:
Der Senat hat dem Gesetzgeber die
Möglichkeit
eingeräumt, auf eine Indikationsfeststellung zu verzichten, weil
es gute Gründe
gibt, davon auszugehen, daß eine schwangere Frau sich unter
diesen Bedingungen
eher dem Beratungsgespräch und damit dem Versuch der
Überwindung der Not- und
Konfliktlage öffnet (D. II. und II. 5.a)). Diese Zurücknahme
der Außenkontrolle
muß auch bei der Durchführung der Pflichtberatung
gewahrt bleiben. Aus dem
Urteil und seiner Begründung geht unmißverständlich
hervor, daß die Beratung in
keiner Weise einer Prüfung der Größe der
Notlage dient, sondern dem Versuch
der Überwindung der Notlage. Die Offenheit der Beratung
erfordert es
aber auch, daß die schwangere Frau sich nicht einer Prüfung
unterworfen sieht,
ob sie in ausreichender Weise am Beratungsgespräch
mitgewirkt hat. Nicht die
Frage "Hat die schwangere Frau genug getan für
die Überwindung ihrer Not- und
Konfliktlage?" gibt das Kriterium für die Aushändigung des
Beratungsnachweises ab, sondern die Frage der Beraterin an sich selbst:
Habe ich
in angemessener Weise versucht, der schwangeren Frau mit
beraterischen
Mitteln bei der Überwindung ihrer Not- und Konfliktlage zu helfen?
Daß die
Beraterin sich diese Frage stellt, fordert das Bundesverfassungsgericht
allerdings mit allem Nachdruck, wenn es sagt, daß die
Beratungsbescheinigung
nicht ausgestellt werden darf, "solange der Beraterin oder dem
Berater die
Möglichkeiten einer Konfliktlösung ... nicht
ausgeschöpft erscheinen" (E.
n. 2.b)). Der Kontext, in dem diese Formulierung steht,
läßt keinen Zweifel darüber,
daß es sich dabei um die Möglichkeiten der Beratung handelt.
Dabei kann die
Frage, welche Hilfestellungen angemessen sind, natürlich
wiederum nur das
Ergebnis des kommunikativen Prozesses sein, den die schwangere Frau
selbst
maßgeblich mitgesteuert hat. Die Beraterin hat auch die
Möglichkeit, wenn die
schwangere Frau den Beratungsnachweis beantragt, mit ihr zusammen -
gewissermaßen
aus der Metaebene - noch einmal auf den Beratungsprozeß zu
schauen, damit die
schwangere Frau selbst sich dazu äußern kann, ob ihr mit
ihrem Kind in
ausreichender Weise die zur Verfügung stehende
Unterstützung bei der
Überwindung ihrer Not- und Konfliktlage angeboten wurde und ob sie
sich in
allen für sie und ihr Kind wichtigen Bereichen gut informiert
sieht. In bezug auf
die schwangere Frau endet die staatliche Kontrolle beim Aufsuchen der
Beratungsstelle und der persönlichen Begegnung mit der Beraterin.
Beratung
selbst hat immer den Charakter einer Einladung, eines Angebotes. Wenn
der Staat
den Rahmen für diesen freiheitlichen Prozeß nicht
schützen würde, wäre dies
gleichbedeutend mit seinem Verzicht auf
Schwangerschaftskonfliktberatung
überhaupt und damit auch auf die lebenschützende Wirkung
von Beratung.
Man darf aber auch die Augen nicht davor
verschließen, daß Frauen in die Beratung kommen, die eine
andere anthropologische
Grundentscheidung zur Frage des Lebensrechtes des Ungeborenen
gefällt haben,
als sie dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zugrunde liegt - und
dies gewiß
nicht nur in den neuen Bundesländern. Natürlich muß das
nicht unbedingt auf der
Reflexionsebene philosophischer Argumentation geschehen sein. Es
kann
angesichts heutiger Vorstellungen vom Gewicht elterlicher
Verantwortung z.B.
die schlichte Überzeugung sein, es nicht dem Zufall einer
mißglückten
Empfängnisregelung überlassen zu dürfen, ein
Kind zur Welt zu bringen.
Doch muß sich auch in solchem Fall erweisen, daß mit
Beratung nicht Belehrung
gemeint ist, worauf die Urteilsbegründung ja ausdrücklich
hinweist: Beratung
soll "Verständnis wecken, nicht belehren" (D. IV. 1.). Es
geht also darum,
Verständnis zu wecken für eine Wertordnung, die
aufrechtzuerhalten wir uns über
die Verfahren, die uns in unserer Demokratie zur Verfügung
stehen, selber
verpflichtet haben. Der lebenschützende Wert der Beratung kann
dann m. E. nur
in der Begegnung mit der Person der Beraterin selbst und deren
eigenen
Werthaltungen liegen. Ich bin mit dem Senat der Auffassung, daß
eine
ergebnisoffene Beratung dies nicht ausschließt (D.IV.l). Die
Qualität des
Beratungsprozesses hängt vielmehr auch davon ab, wie
transparent der Beraterin
selbst ihre eigenen Werthaltungen sind und wie transparent und damit
diskursfähig sie für die schwangere Frau sind. Ich habe keine
Sorge, daß da, wo
eine Beraterin die Wertordnung unserer Verfassung akzeptiert und
verinnerlicht
hat, Beratung zur Manipulation verkommen könnte; denn es
gehört zu ebendieser
Wertordnung, den ethischen Überzeugungen eines jeden Menschen mit
Respekt zu
begegnen. Wie innerhalb der Beratung einer schwangeren Frau diese
grundsätzliche Thematik in angemessener Weise angesprochen werden
kann, wird
die Beraterin im Einzelfall verantworten müssen. Sie kann
sich dabei jedenfalls
auch auf Ausführungen in der Urteilsbegründung beziehen, nach
denen sie keine
"auf die Erzeugung von Schuldgefühlen zielende und in
dieser Weise belehrende Einflußnahme"
(D. IV. 1) ausüben soll. In der Öffentlichkeit ist viel von
der
Widersprüchlichkeit der Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts die Rede.
Dazu gehört auch die Spannung, die zwischen der gerade
zitierten Aufforderung
und z.B. jener Aufforderung besteht, "Fehlvorstellungen" zu
"korrigieren" (D.IV.1a)). Bei näherer Betrachtung wird man
allerdings
feststellen, daß diese Aufforderung sich auf Fehlvorstellungen
darüber bezieht,
welchen Schutz das Ungeborene auf der Grundlage unserer Rechtsordnung
genießt.
Eine Frau, die eine andere Wertordnung oder auch nur eine andere
Auslegung der
Wertordnung unseres Grundgesetzes vertritt, über unsere
Rechtsordnung - wenn nötig
- aufklären bedeutet, sie als verantwortliche Bürgerin
unseres Staates ernst
nehmen. Sollte die schwangere Frau die Wertentscheidungen, die
sich in unserer
Rechtsordnung niederschlagen, innerlich nicht mittragen können, so
kann man ihr
nicht ersparen, diese Diskrepanz zumindest wahrzunehmen. Es wird
von der
Authentizität abhängen, mit der die Beraterin selbst diese
Wertordnung
vertritt, ob ihre Worte wie eine abstrakte Norm der politisch
Mächtigen klingen
oder ob darin die Sorge um die Aufrechterhaltung eines Menschenbildes
durchscheint - die Sorge nämlich, daß wir eine wesentliche
Voraussetzung für
das Gelingen menschlichen Lebens überhaupt aufgeben würden,
wenn wir nicht an
der prinzipiellen Unverfügbarkeit menschlichen Lebens in
allen Phasen seiner
Entwicklung festhielten.
In der konkreten Beratung ist die Situation
im allgemeinen
allerdings komplexer, als meine Versuche einer säuberlichen
Darlegung solcher
Fälle suggerieren mögen. So kann z.B. eine engagierte
politische Kritik durch
die existentielle Erfahrung der Frau, tatsächlich ein Kind zu
erwarten, ins
Wanken geraten, so daß vielleicht auch hier "normative
Orientierungen und
Prägungen, die auch bei der Ratsuchenden vorhanden sind" (D.
IV. 1.),
durch die Begegnung mit der Beraterin angesprochen werden können.
Umgekehrt
kann das tiefe Gefühl, jetzt kein Kind verantworten zu
können, eine Frau zu
Deutungen greifen lassen, die sie in theoretischen Diskussionen nicht
vertreten
hätte. Welche Interventionen jeweils als hilfreich für
den Schutz von Mutter
und Kind erlebt werden können, wird immer der fachlichen
Einschätzung der
Beraterin überlassen bleiben. Der Staat will im Beratungskonzept
seiner
Schutzpflicht für das ungeborene Leben unter anderem und in
gewisser Weise
sogar vorrangig durch Beratung nachkommen. Was Beratung ist, kann
letztlich nur
die Beratungsprofession selbst sagen. Die immer wieder abwägenden
Worte, mit
denen der Senat die Aufgabe der Beratung beschreibt, lassen dafür
m. E. auch
Raum genug. Die Beraterin darf nach wie vor in die einzelne Begegnung
mit dem Bewußtsein
hineingehen, daß der Staat sie im Dienst des Lebensschutzes
ausschließlich
zum Einsatz beraterischer Mittel auffordert; und was dies im
Einzelfall
bedeutet, darf und muß sie aus ihrer beraterischen Kompetenz
heraus
entscheiden. So gehört es immer auch zur Kunst von Beratung,
daß die Beraterin
ein Gespür dafür entwickelt, in welcher Form sie ihre eigene
Wahrnehmung und
Wertung der Realität ins Spiel bringen darf und sollte: ob
nämlich diese
Begegnung dann dazu führt, daß die schwangere Frau mehr zu
sich selbst kommt,
eine Erweiterung ihrer Realitätswahrnehmung erfährt -
was entlastend sein
kann, aber auch Schmerzliches nicht ausschließt -, ob sie
also an Freiheit für
eine verantwortete Entscheidung gewinnt oder ob sie anstelle von
Beratung
Fremdbestimmung und Bevormundung erfährt. Nur wenn die schwangere
Frau erlebt, daß
ihr in der Beratung Respekt vor ihrer persönlichen
Verantwortung, Verstehen
ihrer Konfliktlage und Schutz ihrer psychischen Stabilität
gewährt werden, kann
Beratung überhaupt dazu angetan sein, die Fähigkeit
dieser Frau zu stärken,
auch das in ihr wachsende Leben zu respektieren und zu schützen.
Der Beratungsauftrag erfordert es auch,
daß die
Beraterin sich bei ihren Interventionen ausschließlich von der
Frage leiten läßt,
was nach ihrer Einschätzung in diesem Moment dem
Beratungsprozeß am besten
dient. Eine Regelung, nach der sie nach der Beratung ein Protokoll
anfertigen muß
(Urteil II. 3. (6)), darf sie nicht dazu verführen, sich von einem
Erhebungsinteresse leiten zu lassen. Schon um dem vorzubeugen, hielte
ich es
für angezeigt, daß der Gesetzgeber die Frage nach der
Zahl der
Schwangerschaftsabbrüche nicht in die im Protokoll festzuhaltenden
Daten
aufnimmt. Das Bundesverfassungsgericht räumt dem Gesetzgeber
ja ausdrücklich
Entscheidungsfreiheit darüber ein, "wie er die Erfassung und
Auswertung der
Daten im einzelnen regelt" (E. IV. l.c)). Es kann zwar durchaus sein,
daß
vorangegangene Abtreibungen in einem Beratungsgespräch Thema
werden - häufiger
allerdings bei schwangeren Frauen, die sich, manchmal unter
besonders
schwierigen Bedingungen, für ihr Kind entscheiden -;
doch im
allgemeinen gehört diese Frage eher in den Kontext eines
ärztlichen Gesprächs.
Voraussetzung für einen guten
Beratungsprozeß ist schließlich
noch, daß nicht nur die schwangere Frau der Beraterin
Vertrauen schenken kann,
sondern daß auch die Beraterin der schwangeren Frau vertrauen
kann. Sie muß
sich mit einer großen Offenheit, in gewisser Weise ebenfalls
ungeschützt, auf
eine ihr fremde Person, deren Weg, zu denken und zu fühlen, deren
Geschichte
und deren Fragen und Konflikte einlassen; und sie muß
während des ganzen
Beratungsprozesses immer wieder - oft zudem schwierige –
Ermessensentscheidungen
treffen, welche Interventionen jetzt hilfreich sein könnten.
Für all das
braucht sie die völlige Sicherheit, daß der einzelne,
individuelle Beratungsprozeß
nie zur Basis für eine staatliche Kontrolle oder gar ein Verfahren
gegen sie
selbst bzw. ihre Beratungsstelle gemacht werden kann. Wenn ich als
Nichtjuristin das Urteil und seine Begründung richtig
interpretiere, würde der
Duktus der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts einen
solchen Vorgang
auch keinesfalls erlauben (vgl. auch D. IV. 3.e)). Die Überwachung
der
Beratungsarbeit, zu der das Bundesverfassungsgericht den Staat
verständlicherweise verpflichtet (D. IV. 3.a) bis e)), muß
und kann m.
E. vom Gesetzgeber im Rahmen der Vorgaben des vorliegenden Urteils so
geregelt
werden, daß der Schutzraum für einen vertrauensvollen,
freiheitlichen Beratungsprozeß
voll gewahrt bleibt. Dies sollten nicht nur die Beraterinnen
selber wissen,
sondern auch alle anderen Menschen in unserem Land; denn sonst kann
Beratung
als Weg des Schutzes für Mutter und Kind nicht erhalten und
verbessert werden.
Eine der größten Schwierigkeiten
für die Umsetzung
des Bundesverfassungsgerichtsurteils liegt wohl in der Tatsache,
daß die
Vertreterinnen und Vertreter der Beratungsprofession keineswegs einen
Konsens
über wesentliche Eckpunkte von Beratung haben. So haben die ersten
Reaktionen
auf das Urteil (Anm. 2) sich in dieser Hinsicht an der alten Frage
entzündet, ob es mit dem Wesen von Beratung überhaupt zu
vereinbaren sei, ihr
ein Ziel vorzugeben - ob also Ergebnisoffenheit in dem oben
beschriebenen Sinn
und Zielorientierung (D. IV. 1.) nicht Widersprüche sind.
Zunächst sei darauf
hingewiesen, daß die in den alten Bundesländern
vorgeschriebene 218-b-Beratung
immer schon die Zielvorgabe des Lebensschutzes gehabt hat. Ohne
die in der
Verfassung verankerte Schutzpflicht des Staates gegenüber dem
ungeborenen Leben
wäre der Staat überhaupt nicht legitimiert, eine schwangere
Frau, die um den
Abbruch der Schwangerschaft nachsuchen will, zur Inanspruchnahme einer
Beratung
zu verpflichten. Ginge es beim Schwangerschaftskonflikt darum,
sich zwischen
zwei gleichberechtigten, gleichwertigen Alternativen zu entscheiden, so
wäre es
äußerst abwegig, von Staats wegen zu verlangen, daß
eine erwachsene Frau sich
bei dieser Gewissensentscheidung prinzipiell einer Beratung
unterziehen muß.
Gerade um eine solche Art von Gewissensentscheidung geht es aber
beim
Schwangerschaftskonflikt nicht. Die Ausführungen, die der Senat in
der
Begründung des Bundesverfassungsgerichtsurteils unter E. II.
2.d) macht,
gehören deshalb in meinen Augen zu den wichtigsten Passagen der
gesamten
Urteilsbegründung.
Ginge es in der
Schwangerschaftskonfliktberatung um
die Begleitung einer Frau, die in einer Entscheidungssituation
zwischen zwei
Alternativen steht, die im Prinzip beide als gleichermaßen gute
Lösungen des
Konflikts angesehen werden können, so wäre es in der Tat ein
kardinaler Fehler,
wenn die Beraterin ihre Interventionen von vorneherein auf eine
der beiden
Alternativen hin ausrichten würde. Sinnvoll ist die Zielvorgabe
nur auf dem
Hintergrund einerseits der Prämisse des Lebensrechtes des
Ungeborenen und
andererseits eines Menschenbildes, das davon ausgeht, daß
Schwangere nicht
"ohne Not" ihr Kind abtreiben lassen, so daß der Staat
herausgefordert
ist, sich für die Bewältigung dieser Not- und Konfliktlage
einzusetzen. Dies an
erster Stelle veranlaßt ihn, Sorge dafür zu tragen,
daß der schwangeren Frau
mit beraterischen Mitteln - es geht um ein Beratungsziel, nicht
um ein
Manipulationsziel - bei dem Versuch der Überwindung ihrer Not- und
Konfliktlage
geholfen wird.
Meines Erachtens kann man geradezu
umgekehrt die
Frage stellen, ob das durch das vorliegende
Bundesverfassungsgerichtsurteil
noch einmal bekräftigte Ziel der Schwangerschaftskonfliktberatung nicht im
Gegenteil konstitutives Moment von Beratung überhaupt ist. Will
Beratung nicht
immer lebensfördernd sein, zum Verstehen einer Not- und
Konfliktlage beitragen
und die Kräfte des anderen wecken und unterstützen, die
diesem eine Bewältigung
seiner Realität ermöglichen? Können wir uns in unserer
Gesellschaft wirklich -
trotz allen Wissens über vorgeburtliches Leben - nicht
darüber verständigen,
was unter "lebensfördernd" und unter
"Realitätsbewältigung" zu verstehen
ist, wenn es um den Lebenszusammenhang von Mutter und Kind in der
Schwangerschaft
geht, um jene "Zweiheit in Einheit" (D. I. 2.), mit der die
Bundesverfassungsrichterin und die Bundesverfassungsrichter das
Spezifikum von
Schwangerschaft zu beschreiben versuchen? So wichtig es aus
ethischer und
rechtlicher Sicht ist, zwischen dem Leben der Mutter und dem des Kindes
zu
unterscheiden, was ja auch unserem biologischen Wissen entspricht, so
wichtig
erscheint es mir für das Verständnis von Beratung einer
schwangeren Frau zu
sein, daß wir die schwangere Frau in dieser ihrer Realität -
nämlich eine Frau
zu sein, in der untrennbar mit ihr verbunden ein individuelles
menschliches
Leben wächst - ernst nehmen. Das Leben einer schwangeren Frau
fördern heißt
immer gleichzeitig auch die Möglichkeiten dieser Frau
vergrößern, zu dem in ihr
wachsenden Leben ja sagen zu können. Abbruch der
Schwangerschaft ist immer
auch ein Eingriff in die Integrität der Frau selbst. Das
bedeutet nun
keineswegs, daß auch nur annähernd jeder
Schwangerschaftskonflikt aufgelöst
werden könnte. Manchmal bleibt nur noch der Wunsch, die schwangere
Frau möge
wenigstens einem Menschen begegnen, der mit ihr trauert. Ich meine aber
wohl,
je freier von Ideologisierungen Beraterinnen sich einlassen auf den
Lebenszusammenhang einer Schwangerschaft, je sensibler sie werden
für die
Loyalitäten, die eine schwangere Frau zu wahren bemüht ist,
um so eher werden
sie sich in der Frage des beraterischen Umgangs mit der
Zielorientierung der
Schwangerschaftskonfliktberatung einander annähern. Ich bin
überzeugt, daß
eine weitere Qualifizierung der Beraterinnen, eine fortschreitende
Integration
humanwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Beratung Auswirkungen in
Richtung
eines besseren Lebensschutzes haben wird. So sehe ich in dieser
Qualifizierung
eine vorrangige Aufgabe bei der Umsetzung des
Verfassungsauftrages, das
menschliche Leben zu schützen.
Aufgrund der Zielorientierung der
Pflichtberatung
halte ich die inzwischen geäußerte Vorstellung, der
schwangeren Frau könne in
der Beratungsstelle konkrete Hilfestellung bei der Beantragung von
Sozialhilfe
zur Finanzierung eines Schwangerschaftsabbruchs gegeben werden
oder es sollte u.U.
gar "die Antragsstellung von den Beratungsstellen
übernommen werden" (Anm. 3),
für abwegig. Meines Erachtens ist sie mit den
Ausführungen, die das Bundesverfassungsgericht
zur Aufgabenstellung der Beratung macht (D. IV. 1.), schlechterdings
unvereinbar. Die Beratung soll der schwangeren Frau bei dem
Versuch der
Überwindung ihrer Not- und Konfliktlage helfen. Ein
möglicher Abbruch der
Schwangerschaft darf überhaupt erst nach einer
Überlegungsfrist getätigt werden
(D. IV. 2.b)). Das heißt, durch die Beratung soll die Frau
motiviert werden,
noch einmal die eigenen Ressourcen und die ihres Umfeldes ins
Spiel zu bringen
und sich vielleicht doch noch für eine Fortsetzung der
Schwangerschaft zu
entscheiden. Im Sinne dieses Auftrages wäre es geradezu
kontraproduktiv, wenn
die Beraterin am Ende des Beratungsgespräches z. B. mit der
schwangeren Frau
zusammen den Antrag auf Sozialhilfe für die Finanzierung eines
Schwangerschaftsabbruchs
ausfüllen würde, so als wäre die Entscheidung zum
Abbruch ein Vorgang, der
seinen Ort in der Beratungsstelle selbst haben könnte.
Das schließt allerdings nicht aus,
daß die Beraterin
den Eindruck gewinnen kann, daß die schwangere Frau so sehr
von der Frage
beherrscht ist, wie sie einen Abbruch überhaupt finanzieren
könnte, daß es
angezeigt erscheint, über die rechtlichen Möglichkeiten, die
der Staat zur
Finanzierung eines Schwangerschaftsabbruchs einräumt, zu
sprechen, damit Raum
für die eigentlichen Themen der Beratung geschaffen wird. Das
Verbot, einen
Schwangerschaftsabbruch, dessen Rechtmäßigkeit nicht
festgestellt wurde, über
die gesetzliche Krankenversicherung zu finanzieren (16. Leitsatz und E.
V. 2.b)
aa)), birgt ohnehin die Gefahr in sich, daß die Frage der
Finanzierung in den
Gedanken und Gesprächen der schwangeren Frau einen vorrangigen
Platz gewinnt
und Kräfte bindet, die dem Versuch der Entwicklung von
Perspektiven für ein
Leben mit dem Kind verlorengehen. In der öffentlichen
Diskussion hat das
Thema jedenfalls ein Übergewicht bekommen. Das mag einerseits
darauf
zurückzuführen sein, daß dieses Thema sich als
Schauplatz für einen ideologischen
Kampf eignet, der in jedem Fall geführt worden wäre. Man
sollte aber auch nicht
unterschätzen, daß da im Makrobereich eine Konzentration auf
dieses Thema
deutlich wird, die sich im Mikrobereich, der Partnerschaft und Familie,
ebenfalls abspielen kann. Für viele Frauen im
Schwangerschaftskonflikt ist die
Vorstellung, plötzlich einige hundert Mark zur Verfügung
haben zu müssen, über
deren Verwendung sie zudem schweigen können möchten, ein
ernstes Problem, das
in der Zeit der allgemeinen Verunsicherung, die eine ungewollte
Schwangerschaft
mit sich bringt, in den Vordergrund treten kann. Um so wichtiger ist
es, daß
der Gesetzgeber einen unbürokratischen, mittellose Frauen nicht
zusätzlich
belastenden Weg für die Finanzierungsfrage wählt, daß
er also möglichst viel
Raum läßt für die innere Auseinandersetzung mit
der eigentlichen,
existentiellen Frage um Leben und Tod des Ungeborenen. Er muß es
m.E. aber auch
schon deshalb tun, weil sonst dieses Problem zu einem Hindernis
für die
Rezeption der ethischen Optionen werden kann, die das
Bundesverfassungsgericht
mit seinem Urteil aufrechterhalten und verlebendigen möchte.
Nach dem Willen
des Bundesverfassungsgerichts soll ja die Regelung der
Krankenkassenfinanzierung
dazu beitragen, daß "das Bewußtsein von dem Recht des
Ungeborenen auf Leben
wach erhalten wird" (E. V. 2.b) dd)).
Damit das Verfassungsgerichtsurteil die
intendierte lebenschützende
Wirkung zeitigen kann, bedarf es insgesamt und gerade auch im
Blick auf die
Pflichtberatung noch einer großen Vermittlungsarbeit. Auf ein so
empfindliches
Mittel des Lebensschutzes, wie eine persönliche Beratung es
ist, wird der
Staat immer nur begrenzt Einfluß nehmen können und
dürfen. So ist wieder neu
das Gespräch zwischen denjenigen notwendig geworden, die die
Schwangerschaftskonfliktberatung in unserem Land durchführen und
verantworten.
Meine Ausführungen möchten als Versuch verstanden werden,
dazu einen Beitrag zu
leisten.
Zum Schluß möchte ich noch auf
den Problemzusammenhang
hinweisen, der mich seit der Verkündigung des
Bundesverfassungsgerichtsurteils
am meisten beschäftigt hat. Die folgenden Überlegungen
sprengen zwar den
Rahmen der Thematik dieses Artikels, haben aber gleichwohl Konsequenzen
für die
Beratungsarbeit. Es geht um die Frage, wie wir es gesellschaftlich
schaffen
können, daß das Urteil nicht in der Hinsicht
mißverstanden wird, als schütze
es behindertes Leben nicht in der gleichen Weise wie
nichtbehindertes Leben.
Tatsache ist, daß das Bundesverfassungsgericht keinen Unterschied
macht
in der Schutzwürdigkeit des behinderten und des nichtbehinderten
ungeborenen
menschlichen Lebens. Es hat im Gegenteil mit aller Klarheit
festgestellt: "Wo
menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu ... Diese
Würde des
Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um
seiner selbst willen"
(D. I. 1.a)). Es gibt keinen Zweifel darüber, daß diese
Worte sich auf alles
ungeborene menschliche Leben beziehen, unabhängig davon, ob
es behindert oder nichtbehindert
ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat im
Zusammenhang mit
dem Beratungskonzept, das der Gesetzgeber wählen kann, ja das zu
wählen ihm
nach dem Duktus der Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts meines
Erachtens nahegelegt wird, zwischen gerechtfertigten
Schwangerschaftsabbrüchen
und solchen, denen die Rechtfertigung nicht zugesprochen werden kann,
unterschieden. Als gerechtfertigt wird der Schwangerschaftsabbruch
u. a. bei
Vorliegen einer "embryopathischen" Indikation angesehen,
wohingegen dem
Schwangerschaftsabbruch, zu dem es aufgrund einer allgemeinen Notlage
kommt,
keine Rechtfertigung zugesprochen werden darf, solange man um der
größeren
Wirksamkeit der Beratung willen auf eine Feststellung dieser
Notlage durch
dazu befugte Dritte verzichtet. Ich halte es für
außerordentlich wichtig, daß
in der Öffentlichkeit deutlich gemacht wird, daß der Staat
in den
letztgenannten Fällen - und dies sind ja zahlenmäßig
die weitaus überwiegenden
-, in denen er im Rahmen des Beratungskonzepts die förmliche
Rechtfertigung
nicht zuspricht, keineswegs gleichzeitig behauptet, es könne sich
dabei im Einzelfall
nicht um eine "Ausnahmelage" handeln, "die es von
Verfassungs wegen zuläßt,
die Pflicht zum Austragen des Kindes aufzuheben" (D. I. 2.c) bb)). Der
schwangeren Frau soll ja gerade - was evtl. erst durch die Beratung
geschieht -
"bewußt sein, daß nur in Ausnahmesituationen
nach der Rechtsordnung ein
Schwangerschaftsabbruch in Betracht gezogen werden darf, nämlich
nur, wenn der
Frau eine Belastung erwächst, die so schwer und
außergewöhnlich ist, daß sie
die zumutbare Opfergrenze übersteigt" (D. IV. 1.a))
und auch
der Arzt hat bei der Entscheidung, ob er den Abbruch durchführt,
"zu berücksichtigen,
unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung einen
Schwangerschaftsabbruch
als nicht rechtswidrig ansieht" (D. V. 1 c)). Zu welcher sittlichen
Verpflichtung
sich die einzelne Frau auch angesichts einer solchen Rechtsordnung
herausgefordert
sieht, bleibt davon unberührt (vgl. auch D. I. 2.c) bb)).
Der Staat
jedenfalls, der im Beratungskonzept die Letztverantwortung (D. II.
5.) der
Frau überläßt, "sagt nicht, ihre
Entscheidung zum Abbruch im Einzelfall sei
rechtmäßig oder rechtswidrig ... Es bleibt im Einzelfall
unsicher, ob die
Schwangere Unrecht getan hat oder nicht" (Anm. 4). "Die
Beratungsregelung mutet es ... Frauen zu, auf die persönliche
Entlastung zu verzichten,
die in einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des
von ihnen beabsichtigten
Abbruchs liegen kann" (D. III. l.c)). Der Unterschied zwischen den
verschiedenen Notlagen hat mit "den unterschiedlichen Problemen"
zu tun,
"die die Feststellung der Rechtmäßigkeit hier und dort
aufwirft" (Anm. 5).
Denn "nur wenn die Beratungsregelung generell und ausnahmslos von
der Feststellung
des Vorliegens einer sozialen Notlage absieht, kann sie erreichen,
daß Frauen
die Beratung annehmen und sich ihr nicht im Blick auf eine erstrebte
Beurteilung ihrer Entscheidung als rechtmäßig ...
verschließen" (D. III. l.c);
vgl. auch D. II. 5.a)), wohingegen angesichts einer embryopathischen
Indikation
"Frauen kaum Anlaß haben, ... die Beratung nicht mit der
notwendigen Offenheit
anzunehmen" (D. II. 5.b)).
Obwohl es plausibel ist, in bezug auf die
Beratungssituation einen Unterschied vorauszusetzen, bin ich der
Meinung, daß
in den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nicht
deutlich genug wird,
daß die Notlage auch bei einer embryopathischen Indikation
nicht auf das
schlichte Faktum der Behinderung selbst zurückzuführen
ist, sondern, wie bei
der allgemeinen Notlage, auf soziale und psychische Faktoren, auf einen
Konflikt,
den die Frau "als höchstpersönlichen erlebt" (D. II.
2.). Oder muß man
angesichts des heutigen, oft ganz von der Eigendynamik des
medizinischen
Systems bestimmten Umgangs mit einer zu erwartenden Behinderung des
Kindes
schon sagen: ein Konflikt, den die Frau und ihr Partner als
höchstpersönlichen
erleben sollten? Gewiß muß man die
Entscheidung einer schwangeren
Frau oder eines Paares, die Verantwortung für ein behindertes Kind
nicht
übernehmen zu können, respektieren. Eine Qualifizierung der sozialen
Beratung
für schwangere Frauen und deren Partner, die von der
"erheblichen Gefahr einer
schweren Schädigung des Kindes" (D. II. 5.b)) Kenntnis
bekommen haben,
sich durch die auf sie zukommende Aufgabe überfordert sehen und
deshalb einen
Schwangerschaftsabbruch erwägen, ist m. E. aber eine der wichtigen
Konsequenzen,
die aus der prinzipiellen Schutzpflicht des Staates zu ziehen
sind: "Soweit
die Unzumutbarkeit die Pflicht der Frau, das Kind auszutragen,
begrenzt, ist
damit die Schutzpflicht des Staates, die gegenüber jedem ungeborenen
menschlichen Leben besteht, nicht aufgehoben" (D. I. 2.c) cc)).
(Die
Hervorhebung des Wortes "jedem" stammt wohlgemerkt vom
Bundesverfassungsgericht selbst.) Der Senat weist an einer Stelle ja
auch auf
die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Behindertenverbänden
hin (D. IV.
3.b)). Daß eine soziale Beratung, die die Möglichkeiten und
Grenzen der
persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Ressourcen
thematisiert, im allgemeinen
die Kompetenzen eines Arztes überschreitet, dürfte jedem
einleuchten. Es wäre
im übrigen auch äußerst hilfreich, wenn mehr schwangere
Frauen und deren Partner
schon dann - natürlich auf freiwilliger Basis - eine psychosoziale
Beratung in
Anspruch nehmen würden, wenn ihnen eine vorgeburtliche
Untersuchung ihres
Kindes von ärztlicher Seite nahegelegt wird und sie sich Klarheit
darüber
verschaffen sollten, was die Entscheidung zu einer solchen
Untersuchung für
sie persönlich bedeuten würde.
Ich kann nicht beurteilen, ob die
Rechtslage, die das
vorliegende Bundesverfassungsgerichtsurteil gebracht hat, noch
innerhalb
des Beratungskonzepts die Möglichkeit offenläßt, auf
die Unterscheidung
zwischen allgemeiner Notlage und einer auf embryopathischer Indikation
beruhenden Notlage zu verzichten. Angesichts der aktuellen
Gesetzeslage halte
ich es aber jedenfalls für unerläßlich, die
Bevölkerung präzise darüber
aufzuklären, wie das Bundesverfassungsgericht zu seiner
Unterscheidung
zwischen dem gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch bei Vorliegen
einer
Indikation und dem Schwangerschaftsabbruch kommt, dem die
Rechtfertigung nicht
zugesprochen werden kann - und was das Bundesverfassungsgericht nicht
damit
meint. Dies sollten auch diejenigen differenziert deutlich machen, die
selber
ein "strengeres" Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vorgezogen hätten.
Eine solche differenzierte Aufklärung verlangt nicht nur die
Redlichkeit
gegenüber Frauen im Schwangerschaftskonflikt, sondern sie
erscheint mir auch
der einzige Weg, dem Mißverständnis vorzubeugen, daß
nach unserer Rechtsordnung
die Tötung eines behinderten ungeborenen Lebens prinzipiell
anders eingeordnet
würde als die Tötung nichtbehinderten ungeborenen
Lebens. Hätte das Bundesverfassungsgericht
dies getan, so hätte es versäumt, die m.E. wichtigste
ethische Botschaft weiterzutragen,
die es im Zusammenhang mit dem Schutz des ungeborenen Lebens zu
vermitteln
gilt. Denn an der Frage, wie moderne Gesellschaften mit behindertem
ungeborenen
Leben umgehen, entscheidet sich nicht nur der Grad ihrer Humanität
im Umgang
mit geborenen Behinderten und ihren Familien. Es geht, so meine ich, um
die
Zukunftsfrage, ob wir angesichts der dramatisch fortschreitenden
technischen
Möglichkeiten einer "Optimierung" der menschlichen Art dazu
beitragen oder
versäumen werden, Menschen sein zu wollen, die zu
Solidarität und Liebe fähig
sind.
Anmerkungen
1 Da
in der Schwangerschaftskonfliktberatung überwiegend Frauen
tätig sind, wähle
ich hier wie im folgenden nur die weibliche Form; Berater sind
selbstverständlich
mitgemeint.
2 Vgl.
etwa die kritischen Worte von Joachim v. Baross zur
"Tendenzberatung" in
seinem Artikel "Ein zu hoher Preis für den
,Konzeptwechsel'", in:
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und
Rechtswissenschaft. Das
Urteil zu § 218 StGB - in Wortlaut und Kommentar -, 76. Jg.,
Sonderheft 1/1993,
S. 119.
3
Zusatzinformation des Bundesministeriums für Gesundheit, S. 3, in:
Pressemitteilung
des Bundesministeriums für Frauen und Jugend. Information für
Frauen in einem
Schwangerschaftskonflikt. Grundlage: Übergangsregelung zum §
218 StGB nach dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993.
4 Ossenbühl,
Fritz, Lebensschutz nach dem Maß des Möglichen, in:
Kritische Vierteljahresschrift
für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 179.
5 Schlink,
Bernhard/Bernsmann, Klaus, Was tun? Zur Fortsetzung der Reform nach der
zweiten
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum
Schwangerschaftsabbruch, in:
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und
Rechtswissenschaft, a.a.O.,
S. 182.