weinzweb

Was macht es heute so schwer, Ehe zu leben?

Thesen zur Situation von Ehe heute

&xnbsp; Vorbemerkung: Wenn man die Inhalte eines Vertrags in Thesen zuspitzt, so läuft man immer Gefahr, Realität zu verkürzen bzw. Sach-verhalte kompliziert auszudrücken. Diese Schwierigkeit gilt auch für die nun folgenden Thesen.

&xnbsp; 1. Die Liebe zwischen Mann und Frau in einer dauerhaften Beziehung (Ehe) zu leben und zu gestalten, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe geworden. Ehe ist heute ein spannendes und spannungsreiches "Geschäft".

&xnbsp;2. Das Spannungsfeld Ehe wird nicht nur bestimmt und aufgebaut von den Erwartungen und Fähigkeiten der beteiligten Personen, sondern ist geprägt und wesentlich bestimmt durch gesellschaftliche Faktoren.

&xnbsp; 3. Die Gestalt von Ehe und Familie ist bestimmt durch ihren gesellschaftlichen Ort. Nachdem sich unsere Gesellschaft im Laufe der Neuzeit ausdifferenziert hat in unterschiedliche und relativ autonome Teilbereiche (wie z.B. Arbeitswelt, Wissenschaft, Recht, Ehe und Familie), "hängt" der einzelne Mensch nicht mehr so sehr in einem Verbund-Netz zusammenhängender und integrierter Teilbereiche, er kann sich vielmehr relativ frei zwischen den einzelnen Teilbereichen bewegen. Er muß sich dort aber auch jeweils unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen anpassen. Das fördert Individualität, fordert aber auch Identität. (Ich bin Ich!)

&xnbsp;4. Jeder Mensch, jedes Individuum tritt also nicht mehr in eine relativ vorgegebene und vorgeprägte Lebensbahn ein, sondern seine Lebenslaufbahn erhält&xnbsp; durch&xnbsp; die&xnbsp; verschiedensten&xnbsp; Wahlmöglichkeiten&xnbsp; ein&xnbsp; ziemlich individuelles Gesicht:&xnbsp; Dieses gesellschaftliche Phänomen nennt man Individualisierung.

&xnbsp;5. Diese Situation der Individualisierung durch Wahlfreiheit und Wahlzwang betrifft auch das Leben in der Ehe. Ein Mann und eine Frau müssen in einer sehr eigenen Weise eine (neue) kleine Welt miteinander aufbauen, nicht indem sie sich vorgegebenen Formen unterwerfen, sondern indem sie in einen sehr differenzierten und komplexen Vorgang des Wählens und Aushandelns miteinander treten:

Z.B. "Wollen wir zusammen leben? Wollen wir heiraten? Wollen wir Kinder? Wann wollen wir Kinder? Wie ist es mit Familie und Beruf? Bleibt einer zuhause, wenn ein Kind kommt? Wie werden die Aufgaben im Haushalt verteilt?..." So bekommt jede Ehe ein individuelles Gesicht, hängt das Gelingen einer Ehe stark von Fähigkeiten, Lern- und Leidenserfahrungen, persönlichen Lebens-Geschichten der Partner ab.

&xnbsp;6. Die Gesellschaft "erklärt" diese kleine Lebenswelt von Ehe und Familie zur institutionalisierten Privatsphäre: Mann und Frau sollen dort selbständig und eigenständig ihr Leben miteinander aushandeln und gestalten; die Öffentlichkeit zieht sich aus diesem privaten Bereich weitgehend zurück: "Ihr seid selbst verantwortlich!"

&xnbsp;7. Diese "Freisetzung" und Freigabe in die Eigenständigkeit ist allerdings oft Trugschluß, wenn man die äußere Spannungslage betrachtet, in der Ehe und Familie sich befinden. Viele Spannungslagen in der Ehe, viele Konflikte, die Männer und Frauen in ihrer Beziehung miteinander bewältigen müssen, kommen nicht aus ihren persönlichen "Macken und Kanten", sondern sind Widerspiegelungen gesellschaftlich erzeugter Zwänge und Probleme.

&xnbsp;8. So nimmt z.B. die Berufswelt relativ wenig Rücksicht auf die Lebenswelt Ehe und Familie: Die Abläufe im Leben einer Ehe und einer Familie sollen sich den Abläufen in der Berufswelt anpassen. Statt daß im Bereich der Arbeitswelt selbst familienfreundliche Abläufe und Zeiten geschaffen werden, sollen die Paare auf ihrer (privaten) Ebene die Probleme und Spannungen lösen, die aus der Kollision dieser unterschiedlichen Welten entstehen. ("Berufsfreundliche Familienwelt!")

&xnbsp;9. Ein großes Konfliktpotential für Männer und Frauen in der kleinen Lebenswelt entsteht durch die gesellschaftlich produzierte "halbierte Moderne". Dies besagt folgendes:

&xnbsp; Zur "Botschaft" der Moderne gehört der ungehinderte und freie Zugang zu allen Teilbereichen der Gesellschaft (z.B. zu Politik und Arbeitswelt) für Männer und Frauen gleichermaßen. Dieser "Verheißung" trägt der Umstand Rechnung, daß Frauen und Männern in gleichem Maße und in gleichem Umfange schulische Bildung und Ausbildung angeboten werden. Gegen diese Botschaft der gleichen Lebens- und Karrierechancen für Männer und Frauen steht aber die Tatsache, daß Gesellschaft und Arbeitswelt so strukturiert sind, daß eine Hälfte, in der Regel die Männer, in der Arbeitswelt ihren Platz finden und Frauen ihnen den Rücken frei halten sollen, indem sie in der kleinen Lebenswelt bleiben und ihre Männer wieder "aufmöbeln". Die moderne Indu-striegesellschaft lebt letztlich davon, daß eine Hälfte der Gesellschaft ihr zuarbeitet, indem sie die Ressourcen der Regeneration für die andere Hälfte zur Verfügung stellt. Die oft in Ehe und Familie entstehenden Konflikte im Aushandeln um die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hängt so nicht an der Fähigkeit oder Unfähigkeit der betroffenen Personen, sondern an den gesellschaftlichen Strukturen, die diese Spannung für das Paar erst erzeugen.

&xnbsp;10. Neben der äußeren, durch gesellschaftliche Strukturen erzeugten Span-nungslage von Ehe gibt es auch eine innere Spannungslage, die aus den inneren Bildern, Idealen und Wunschträumen entsteht, die die Partner im Blick auf ihre Ehe hegen. Während in der vorneuzeitlichen Gesellschaft die Ehe im wesentlichen eine Solidargemeinschaft war, die dazu diente, Lebens­probleme miteinander zu bewältigen, gemeinsame Aufgaben anzugehen, ein familiäres Erbe zu verwalten, ist die Basis von Ehe heute ein sehr unsicheres, oft diffuses und wechselhaftes Gefühl, nämlich die Liebe. Männer und Frauen erwarten voneinander und beieinander (permanentes) persönliches Wachstum, sie erwarten voneinander den Himmel auf Erden, wollen ständig fühlen, daß sie einander lieben und beieinander glücklich sind.

Damit wird, wie das Soziologenehepaar Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim zeigt, Liebe zu einer Art Religionsersatz: Man will oder muß füreinander den "lieben Gott" spielen, und dies führt zu einer grandiosen und permanenten Überforderung von Paaren.

&xnbsp;11. Angesichts der Situation, daß sich in den Köpfen der Menschen ganz neue soziale und gesellschaftliche Leitbilder im Blick auf Ehe festgesetzt haben, müssen Männer und Frauen erst lernen, human und realitätsbezogen mit sich selbst, miteinander und mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen umzugehen. Sie müssen erst lernen, eine Form von lebensförderndem Humor und Realitätssinn zu entwickeln, der sie die Grenzen ihrer Beziehung nicht ständig als Kränkung erleben läßt, die sie dazu verführt, das Ganze der Beziehung zur Disposition zu stellen: "Wir lieben uns nicht mehr, also müssen wir uns trennen!"

12. Hier könnte Kirche den Menschen einen Dienst erweisen, indem sie nicht ständig mitbaut an solchen überfordernden Idealisierungen, sondern indem sie Menschen Mut macht, zu ihren Grenzen und auch zu ihrem Scheitern zu stehen; indem sie Menschen, die an ihren Grenzen oder an der Erfahrung von Scheitern leiden, signalisiert, daß sie gerade in ihren Grenzen gewollt, geliebt und geachtet sind und daß sie deshalb ihrem weiteren Miteineinander in der Ehe oder auch ihrem neuen Leben nach einer zerbrochenen Ehe eine Chance geben dürfen.

Hans Jakob Weinz

Impressum